Erbauungsliteratur

Erbauungsliteratur
Erbauungsliteratur,
 
im weiteren Sinn jede der Stärkung des Glaubens und der Frömmigkeit dienende Literatur, von der Bibel über Heiligenlegenden, Gebetbücher, Psalterien, mystische Visionsberichte bis zu bekenntnishaften Autobiographien (z. B. des Pietismus) oder religiösen Dichtungen wie F. G. Klopstocks »Messias«. Im engeren Sinn werden zur Erbauungsliteratur Schriften gezählt, die ausdrücklich als Handreichung zu einer christlichen Lebensgestaltung, als Anweisung für die häusliche Andacht und Trost in Anfechtungen dienen sollen. Zu dieser Art Erbauungsliteratur gehören u. a. das Andachtsbuch, der Traktat, die Predigtsammlung (Postille), die Historienbibel, das Trost- und Sterbebüchlein; oft wurden mehrere Arten zu Spiegeln (oft verdeutscht das mittelalterliche »Speculum humanae salvationis«, anonym, um 1324; deutsch »Spiegel der menschlichen Seligkeit«) oder (seit der Reformation) in Hausbüchern vereinigt. Erbauungsliteratur war bis etwa 1750 die am weitesten verbreitete Literaturgattung, die internationale (besonders spanisch, niederländisch, englisch) Anregungen aufnahm und sie weiterführte. Die Erbauungsliteratur beeinflusste durch ihren Wortschatz auch nichtreligiöse dichterische Werke.
 
In der Frühzeit der Kirche standen neben der Bibel zunächst die neutestamentlichen Apokryphen. Zu ihnen traten dann Märtyrerakten und Mönchsbiographien, schließlich auch die Heiligenlegenden. Neben ihnen spielten die erbaulichen Schriften und Predigtsammlungen der Kirchenväter eine Rolle, die ergänzt wurden durch Gebetbücher. Im 13. Jahrhundert wurden diese Laienpsalterien dann durch die Stundenbücher abgelöst, bei denen sich der Einfluss der Mystik immer stärker bemerkbar machte (u. a. Bonaventura, J. Tauler, Thomas a Kempis mit der bis ins 20. Jahrhundert wirkenden Schrift »De imitatione Christi«, 1410/20; deutsch »Über die Nachfolge Christi«). Im Ausgang des Mittelalters entstand ein neuer Gebetbuchtypus als eine Art Kompendium für Meditation und Gebet; am bekanntesten der »Hortulus animae«.
 
Die Reformation brachte besonders eine weite Verbreitung der deutschen Bibel, daneben Gesangbücher, Luthers Postille, Betbüchlein und zahlreiche Erbauungsliteratur von ihm selbst u. a. Reformatoren. Luther gab 1516 die »Theologia Deutsch« heraus. Geschätzt und weit verbreitet waren: J. Arnds »Vier Bücher vom wahren Christentum« (1605-09), Heinrich Müllers »Geistliche Erquickungsstunden« (1664), Christian Scrivers »Seelenschatz« (1672-95, 5 Bände), später auch die Schriften von A. H. Francke, N. L. von Zinzendorf, G. Tersteegen, Josef Franz Xaver Stark (* 1750, ✝ 1816), J. A. Bengel und F. C. Oettinger. In England waren die praktischen Schriften von R. Baxter (z. B. »The saints' everlasting rest«, 1649; deutsch »Die ewige Ruhe der Heiligen«) und J. Bunyans »The pilgrim's progress« (1678-84, 2 Teile; deutsch u. a. als »Die Pilgerreise«) populär. Im 19. Jahrhundert verbreiteten Buch- und Traktatgesellschaften Erbauungsliteratur in großem Umfang, doch von oberflächlichem und sentimentalem Inhalt. Diesen Auflösungsprozess konnten auch Volksschriftsteller wie Paul Wurster (* 1860, ✝ 1923) und Paul Conrad (* 1865, ✝ 1927) sowie F. Naumann mit dem Wochenblatt »Die Hilfe« (1895 ff.) nicht aufhalten.
 
In der katholischen Kirche der Neuzeit findet sich neben einer großen Anzahl anspruchsloser Erbauungsliteratur eine Reihe von Schriften, die durch die theologische Bedeutung ihrer Verfasser den Kern der neueren katholischen Erbauungsliteratur bilden. Im 16. Jahrhundert ragten hervor: der Benediktiner Ludwig Blosius (* 1506, ✝ 1566), der Jesuit Petrus Canisius (u. a. drei Katechismen, 1555-58), der Dominikaner Ludwig von Granada, V. Dietrich (»Summaria über die gantze Bibel«, 1541), Martin Moller (»Christliche Sterbekunst«, 1593), der Karmeliter Johannes vom Kreuz und die Karmeliterin Theresia von Ávila, der Weltpriester Johannes von Ávila. Auf der Schwelle zum 17. Jahrhundert steht als einer der Wichtigsten Franz von Sales; im 17. Jahrhundert wirkte der Volksmissionar und Ordensstifter Grignion de Montfort (* 1673, ✝ 1716); bedeutende Lyrik schufen F. von Spee (»Trutz-Nachtigall«, 1649) und Angelus Silesius (»Cherubinischer Wandersmann«, 1674). Von konfessioneller Toleranz zeugen die Andachtsbücher P. von Zesens, G. P. Harsdörffers, J. Moscheroschs. In Deutschland waren in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts besonders einflussreich: der Kapuziner Martin von Cochem, der Prämonstratenser L. Goffiné als Verfasser der »Hauspostille« (1690), eines der erfolgreichsten Erbauungsbücher überhaupt, und, in gewisser Weise auch hierhin gehörend, der Augustiner Abraham a Sancta Clara. Die Erbauungsbücher J. M. Sailers gehören teils noch ins 18. Jahrhundert, leiten aber schon ins 19. Jahrhundert über, in dem als deutscher Klassiker der Erbauungsliteratur Alban Stolz (* 1808, ✝ 1883) hervortritt. Zu den deutschen Erbauungsschriftstellern des 20. Jahrhunderts gehört u. a. Peter Lippert (* 1879, ✝ 1936).

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Er|bau|ungs|li|te|ra|tur, die <o. Pl.>: erbauliche Bücher u. Schriften: Alles ist möglich und alles wird gut. Das ist ein Kennzeichen trivialer E. (Woche 25. 4. 97, 29).

Universal-Lexikon. 2012.

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